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Frank Robert
Endstation Sehnsucht. Fotografien vom Wiener Prater
Endstation Sehnsucht
Frank Robert fotografiert den Wiener Prater
Peter V. Brinkemper
Frank Robert hat die kleinen und großen Orte der Vergnügung und Unterhaltung im Prater, dem großen Wiener Park- und Waldgelände fotografiert. Der Volksprater, der aus dem 19. Jahrhundert stammende Vergnügungspark, trägt trotz seiner Renovierung und behutsamen technischen Modernisierung immer noch den Charme vergangener Zeiten, ein Ort der Zerstreuung ganz in Maßen, stets mit dem Ausblick und der Fluchtmöglichkeit in die beruhigende Natur gleich nebenan.
Die Aufnahmen Roberts halten die Balance zwischen Dokumentation und einfühlsamer Inszenierung, zwischen impliziter Teilnahme und deutlicher Distanz: Sie halten eine Vergnügungslandschaft zu unüblichen Tages- und Jahreszeiten, zunächst außerhalb der üblichen Saison fest: morgens, mittags,
im Herbst und Winter. Oft verschlossene, verriegelte, verhüllte Buden, Figuren und Apparaturen.
Doch plötzlich öffnet sich die Szenerie: Sommerbilder erscheinen und verdrängen Zäune und Absperrungen. Fotos geben nun den Blick frei auf einzelne Personen, die scheinbar mit der Praterlandschaft verschmelzen und dabei immer von einem elementaren menschlichem Zustand berichten: Einsamkeit, Zögerlichkeit und das Verschwinden tauchen bei diesen "Personenportraits" genauso auf, wie kindliche Leidenschaft und die Hoffnung, sich zu befreien. Eine leicht verschlafene Kulisse, eine anti-idyllische Idylle, immer am Rande der Natur, ein Sammelsurium der zusammengeklebten heterogenen Materialien und Objekte: exotische Tiere, Indianer, Monster, Riesenaffen und eingebaute Wahrsagerinnen, einsam, meist ohne Besucher, verpackte Sehnsüchte und eingemachte Träume, das mechanische Skelett des Vergnügens, fast farblos, geräuschlos und bewegungslos, wie Reliquien aus turbulenteren Zeiten, in denen die Menschen den Schatten des Alltags abstreiften, durch Beschleunigung und Schwung im Medium
der Fantasie.
Im Prater erfährt das schnelle Vergnügen von Gestern und Vorgestern die Praxis der geruhsamen Aufbewahrung.
Der Volksprater ist hier eine Art historisches Museum älterer Formen des Amusements und Varietés, ein heiter-melancholisches Erlebnispanorama, ganz im Stil der Wiener Operetten-Seligkeit mit jenen endlosen Spiralen zweit- und drittverwerteter Melodien und Walzern, und vor allem gegen die Gesetzmäßigkeit einer globalen, nur noch auf markenförmige „Innovation“ setzenden Ökonomie.
Robert inspiziert den Vergnügungspark nicht in seiner turbulenten Aktion und ohne die Anpreisungen der Rekommandeure und Schausteller. Er konzentriert sich auf die Latenz der scheinbar unberührten Dingwelt, die wie ein Stück zweiter, ausgedienter Natur erscheint.
In seinen Motiven lässt er den aufdringlichen, oft provinziellen Lärm der Betriebsamkeit hinter sich und seziert den stummen Zeichenwert zusammengestoppelter Namen und schräger Leuchtschriften, die seltsame Vereinigung von ornamentalem Bombast, das Domino- und Lebkuchenspiel an der ewigen Jagdhütte, die hilflose Plakatierung oder die funktionale Nüchternheit, die folkloristische Gründerzeit, das vage Fernweh und die sich anbiedernde Pseudomodernisierung zwischen Glanzstück und Gemeinplatz, Palast und Bude, grundsolider Anlage und vernutztem Prospekt.
Der Prater erscheint als der philosophische Ort des hochporösen Glücks, die Spaßbühnen und Abenteuerschanzen transportieren den Jubel der endlos ausgedehnten Kindheit und die fast verpasste Würde des Alterns, die Wiener Patina ist selbstverständlicher Teil der Unterhaltung, und das Abgegriffene und das Stehengebliebene werden selbst zum Jux auf der tragikkomisch ausstaffierten Miniaturachterbahn des auf- und abführenden Lebens.
Frank Roberts Praterfotos zeigen bestimmte Zeitfelder und Brachen, Räume, in denen die Zeit angehalten erscheint. Robert: „Der Prater ist eher ein vergangenes Märchen als eine frisch aufpolierte Perfektion von heute.
Stände er im wirklichen Leben, so wäre er längst abgerissen.
Das ist der Traum, dass der Prater so stehen geblieben ist.“
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