Die Galerie Lichtblick zeigt in Zusammenarbeit mit der Union of Lithuanian Art Photographers, Vilnius, drei Positionen Litauischer Fotografie.
Mit Antanas Sutkus, Jg. 1939, und Aleksandras Macijauskas, Jg. 1938, werden zwei der einflussreichsten Fotografen Ost- und Mittel-Europas vorgestellt. Arturas Valiauga, Jg. 1967 vertritt die jüngere Generation litauischer Fotografie.
Antanas Sutkus hat sich in die umfangreiche und politisch aufgeladene Werkgeschichte seiner Bilder von den 60er bis hin zum epochalen Umbruch der 90er Jahre vertieft, um das „Kollektive Bildgedächtnis“ und die Erinnerung an die Vergangenheit mit einem Fundus von mehr als 850.000 Negativen zu rekonstruieren. Hiermit schafft er einen fotografischen Rechenschaftsbericht über eine soziale, politische und künstlerische Epoche: Die bildsprachliche Arbeit am Alltag unterm und jenseits des Sozialismus, die offiziellen und völlig inoffiziellen Ikonen aus oft ungewöhnlich angeschnittenen Blickwinkeln. Darunter fallen auch viele zensierte und verbotene Motive.
Sutkus nimmt in seinen Fotos immer wieder die Überkreuzungen des privaten und des öffentlichen, gemeinschaftlich organisierten Lebens auf:
Baustellen, Kolchosen, Schulen, die kleinen Apartments der eingekesselten Intelligentsia, die Universitäten, die Datschas der oberen Partei-Genossen.
Sutkus ist ein Fotograf im Sinne der klassischen Schule Cartier Bressons.
Ohne Einflussnahme oder falsche Dramatisierung sucht er den „entscheidenden Augenblick“ der die sichtbaren Dinge und die Menschen für sich selbst sprechen lässt. Ein plakatives Anklagen oder eine Moralisierung wird man in seinen Fotografien nicht finden. Auch in den Momenten größten Leidens behalten auf Sutkus’ Fotos die Menschen ihre Würde. Das ist das Großartige an seiner fotografischen Ästhetik, die zugleich eine sublime, unaufdringliche Ethik des Authentischen ist.
Antanas Sutkus, Vilnius 1963
Aleksandras Macijauskas Bilder zeichnen sich dadurch aus, dass sie das Leben in der Spannbreite von Freiheit und Schicksal, Spielraum und Kontrolle zeigen. Zweifelsohne gelingt Macijauska dies durch einen Geist des Widerspruchs, des Dissenses, durch eine unterschwellige Ironie, die er mitten in den Ereignissen des Alltags aufspürt. Der Künstler steuert einem graphischen Realismus mit gewisser Disharmonie entgegen. Die Kamera ist bei seinen Schleichwegen zur Wahrheit weniger ein moralischer Schiedsrichter, sondern ein immer tiefer eindringender Beobachter.
Die passionierte Humanität des Fotografen darf man sich allerdings nicht zu handzahm vorstellen. Sein künstlerischer Impetus ist zugleich roh und unzensiert. Macijauskas widmet seine Bilder keiner vorgegebenen Moral. Wie ein Maler konstruiert er seine Motive aus Fragmenten des Alltagslebens. So bekommen die Beziehungen und Verflechtungen, die er festhält, zugleich eine symbolische, aber auch ironische Note. Bilder, aus denen das Leben übergroß über sich selbst und über sich selbst hinaus spricht.
Macijauskas bedient sich verschiedener stilistischer Vorbilder, die er virtuos zu seinen eigenen Zwecken umfunktioniert. So die frühe moderne Dokumentation der industriellen Revolution mit ihren maschinellen Umwelten - Bilder zwischen Dynamik und strenger formaler Komposition, mit markanten Blickwinkeln. Auf diese Weise erzeugt er Bildwelten, deren Energie aus seiner ureigenen inneren Vision und dem Zusammenspiel der Menschen und Dinge draußen in der Welt entspringt.
Aleksandras Macijauskas. Ship-Repair works 2. 1976
Stellvertretend für die jüngere litauische Fotografie zeigt die Galerie Lichtblick eine fotografische Serie von Arturas Valiauga.
Die individuelle Erfahrung von Zeit spielt in seine Fotografie eine zentrale Rolle. In seinen Bildern ist diese geprägt von dem modernen „Feeling“ der Langeweile, des Überdrusses, der Bedeutungslosigkeit, der Zähigkeit und Trägheit des verlorenen Zeitflusses – etwa in jenem Sinn, in dem Salvador Dali in seiner surrealistischen Malerei die Beharrlichkeit von Zeit und Erinnerung in materialisierender Präzision beschwor.
Die Serie “A Week has 8 Days” illustriert diesen Gesichtspunkt besonders eindringlich. Sie handelt von einer Mutter, die ein Kind aufzieht. Ihre zur Verfügung stehende Zeit wird gleichsam eingesperrt und in Beschlag genommen durch alle die Dinge, die um sie herum existieren und sie förmlich einkreisen. Auf diese Weise werden die Tage ihrer Woche wesenlos, gewichtslos, zu einem monotonen Einerlei ohne besondere Ereignisse. Ein Abschied vom Heroismus der älteren litauischen Fotografie.
Arturas Valiauga. From the series "Week has 8 Days". VIII. 1999 |