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Erinnerung ist für Nina Korhonen ein wichtiges Element in ihrer künstlerischen
Praxis. So stellte sie schon für ihr erstes Buchprojekt mithilfe von zwei
jugendlichen Darstellerinnen Szenen aus ihrer eigenen Kindheit nach. In sehr
stimmigen Schwarzweissfotografien versucht die Künstlerin hier die Magie
eines Ortes gleichsam zu beschwören, der als Bühne dient, um sich
selbst, wenn auch zeitversetzt, im anderen Gegenüber zu erkennen.
Diese autobiografisch motivierte Spurensuche wird auch bei ihrem nächsten
Projekt bestimmend sein. Diesmal ist es das Familienalbum ihres Großvaters,
das den Anfang einer Bildgeschichte über eine ihr nahestehende Person aus
dem Familienkreis, nämlich ihrer Großmutter Anna, bildet. Ausgehend
von den vorgefundenen, farbigen Knipserbildern ihres Großvaters, entwickelt
sie eine eigene Geschichte aus der Welt des American way of Life,
in dessen Zentrum ihre 1959 in die Vereinigten Staaten von Amerika emigrierte
Großmutter steht. Von 1994 bis 1999, den letzten Lebensjahren ihrer Großmutter,
arbeitete Nina Korhonen an ihrem Zyklus ANNA. Dieser handelt von
der Verwirklichung eines lang gehegten Wunsches ihrer Großmutter, die
zweite Lebenshälfte in den USA zu verbringen. Im Alter von über vierzig
Jahren, nachdem ihre eigene Familie in Finnland versorgt war, gelingt es ihr,
sich diesen Wunsch zu erfüllen und sich in Finntown in Brooklyn niederzulassen.
Als Haushälterin bei einer wohlhabenden Familie in Manhattan nimmt sie
auch am wirtschaftlichen Erfolg Amerikas in einer prosperierenden Zeit teil,
bis hin zum Erwerb eines kleinen Hauses in Florida.
Als Nina Korhonen beschließt nach USA zu fahren und ihre Großmutter
längerfristig mit ihrer Kamera zu begleiten, zeigt sich ihr eine selbstbewusste
Frau von knapp achtzig Jahren, die "immer noch ein schöner, starker
und sinnlicher Mensch ist" (Korhonen). Die Bilder, die entstehen, sind
geprägt von Nähe und Vertrauen des Gegenübers, das sowohl Einblicke
in sehr intime Momente des Lebens erlaubt, wie auch das Festhalten öffentlicher
Alltagssituationen nicht scheut. In brillanten, großformatigen Farbfotografien
entspannt sich ein Dialog zwischen zwei Frauen aus unterschiedlichen Generationen
und findet seinen Niederschlag in einer vielteiligen Bildserie, die nicht nur
durch eine gemeinsame Familiengeschichte geprägt ist (auch Korhonen hat
vor gut zwanzig Jahren ihre finnische Heimat verlassen und lebt seitdem in Schweden),
sondern auch durch die geschlechterspezifische Sehweise der Fotografin und ihrer
Suche nach Identität.
Die oftmals geradezu verblüffend wirkende, körperbetonte Selbstdarstellung
der Großmutter zeugt von einer bis ins hohe Alter würdevoll behaltenen
Sinnlichkeit. Der Auftritt der Großmutter im öffentlichen Raum, beim
Einkaufen, aber auch in der Begegnung mit Freunden, zeigt exemplarisch, wie
auch kulturelle Anna in ihrem persönlichen Umfeld im Sinne eines psychologisierenden
Porträts gezeichnet, fügt sie sich in der Öffentlichkeit in etwas
distanzierterer Form in die Ikonografie der neuen Heimat ein. Durch ein solches
Wechselspiel gelingt Nina Korhonen so die Verschränkung von individueller
und allgemeiner Lebensgeschichte.
Rainer Iglar/Michael Mauracher, Fotohof Salzburg
Nina Korhonen: Anna
I have been working with this project ANNA between 1994 and until
her death 1999. The ANNA project is about my grandmothers
childhood dream of America.
After seven years at sea my grandfather returned permanently back to Finland
and told grandmother that it is now her turn to see the world and fulfill her
dream. So when she was in the beginning of her forties she emigrated from Finland
to America in the year 1959. They visited each other every year, grandfather
moved to New York in winter periods and grandmother came back to Finland every
summer. So they kept their love story alive.
She settled down in Finntown in Brooklyn and worked as a chef in the same Manhattan
family for over twenty years. After retirement she bought a small house in Florida
and stayed there for winter periods. She kept traveling between her homes in
Finland, New York and Florida.
When I found my grandfathers old color album photos of their trips around the
USA and in Finland, I decided to continue his work of portraits of my grandmother.
I have photographed her daily life in authentic locations, at home and surroundings
with friends in New York and Florida. I want to show how an eighty-year-old
woman still is a beautiful, strong and sensual human being.
Nina Korhonen
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