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Strukturwandel
Studenten des interdisziplinären Seminars
von Barbara Burg an der FH Dortmund
Ida Andrae
Stefan Becker
Raffi Derian
Nina Ebbinghaus
Markus Hoffmann
Jonas Holthaus
Moritz Kappen
Olga Kessler
Sabrina Richmann
Nico Schmitz
Christine Steiner
26.6. - 9.8.2009
Eröffnung: Fr. 26.6.2009, 20 Uhr
Finissage: Sa. 8.8.2009, 20 Uhr
Auch heute noch weist das Ruhrgebiet eine paradoxe städtische Raumstruktur
mit vielen Zentren und Folgen auf, welche sich aus der industriellen Erschließung
der Bodenschätze und der explosiven Besiedelung ergeben. Heute sind die
Strukturen des Lebens, Arbeitens und Wohnens, zwischen Stadt und Land, Natur
und Technologie, Ansässigkeit und Mobilität im tiefgreifenden Wandel
der nachindustriellen Epoche begriffen.
11 junge Künstler, Studentinnen und Studenten von der FH Dortmund, aus
dem interdisziplinären Seminar von Babara Burg widmen sich diesem komplexen
Thema in unterschiedlichen fotografischen Herangehensweisen und eindrucksvollen
Bildstrecken:
Christine Steiner: Schwarzer Diamant Nachtstücke
Nicht nur eine Metapher für den Wohlstand durch die Revierindustrie von
Thyssen-Krupp zwischen Kohle und Stahl in Bruckhausen, Duisburger Norden, wo
bald ein neutraler Grüngürtel angelegt werden soll. Sondern auch der
schillernde Reklame-Name für ein abenteuerliches Schnapskasino und Montanarbeiter-Hotel
in einem einstmals boomenden Industrie- und Wohnviertel mit der klingenden Bezeichnung
Klein Amerika und einem Hauch von Las Vegas. Leerstehende und verfallende
Wohnungen, Mietzimmer und Ladenlokale. Christine Steiner: Ich habe mich
auf eine letzte Nachtwanderung durch die Räume begeben, bevor sie der Abrissbirne
zum Opfer fallen. Entstanden sind wahrhaftige Nocturnes nach dem Ende
einer Epoche, mit Licht und Schatten geschliffene Nachtstücke und gespenstische
Interieurs, in denen noch einmal die Schatten einer lebendigen und lebenslustigen
Vergangenheit inmitten der beschwerlichen Industrie- und Arbeiterwelt aufleuchten.
Nico Schmitz: Diorama
Schaukästen in Naturkunde und Technik-Museen mit realistischen Modelllandschaften
und Modellfiguren und wechselnder Beleuchtung, eine Art Theater der Wirklichkeit.
Nico Schmitz evokative Inszenierung stellt Landschaftsbilder, Naturstudien,
Nahaufnahmen und Porträts zusammen, in blassen oder gesättigten Farben,
in Licht und Gegenlicht. Dabei zehren die Bilder in ihrer kontrastiven Komposition
von der Technik des Dioramas und der Möglichkeit eines abgeleiteten, vorgeformten
Schauens und kreisen zugleich die Subjektivität eines unschuldigen Blicks
ein, der die oft unmerklichen Formen des Alltags und die Jahreszeiten in einem
Kosmos ganzheitlicher Erfahrbarkeit transformiert.
Olga Kessler: Aussicht Paradies
Fotopaare, in denen mit dem Ausblick auf eine zerstörte oder historisierte
Umgebung, Umbruch und Wandel, oder eine verblassende Kontinuität zwischen
Einschnitt und Alltag mit sensiblen Porträts in Interieurs kombiniert,
in denen junge Menschen in fragmentarisch zusammengesetztes globales Bewusstsein
an Orten ihrer Wahl verkörpern, zwischen Aufbruch und Ungewissheit. Die
Serie beeindruckt durch das Spiel der feinsinnig variierten Situationen und
Motive, sichtbarer und unsichtbarer Geschichten. Olga Kessler: Der Porträtierte
befindet sich in einer doppelt codierten Übergangssituation: biologisch
im Übergang vom Kind zum Erwachsenen, geboren in eine Umgebung, deren Vergangenheit
er nicht zu verantworten hat und deren Zukunft ungewiss ist. Die paradiesischen
Attribute dienen an dieser Stelle als Projektionsfläche für eigene
Vorstellungen von einer heilen Welt.
Stefan Becker/ Christine Steiner: Weiterbauen
Architektonische Aufnahmen in denen zurückhaltende Dokumentation und wilde
Inszenierung verschmelzen, Visuell liegt unser Fokus auf der entstandenen/entstehenden
strukturellen Vielfalt und architektonischen Verschachtelung. >Man kann nicht
nicht kommunizieren<, formulierte Paul Watzlawick in seiner Kommunikationstheorie.
Und wenn jede Handlung kommunikativen Charakter hat, kann wohl auch die Gestaltung
des Eigenheims etwas über die Bedürfnisse, Wünsche und Vorstellungen
des Handelnden verraten. Der vermischte Baustil der hybriden Materialien
führt zu einem Formvokabular, in dem Rustikales und Städtisches, Haus,
Hof und Erkerstrukturen zum Schloss des Kleinen Mannes heranwuchern.
Nina Ebbinghaus: Aquatische Migranten
Wasserpflanzen als Migranten des täglichen Warenaustausches. Neophyten
wie die Schmalblättrige Wasserpest, der Grosse Wassernabel, die Wasserschraube
und der Indische Wasserfreund, die Kleine Rotala rotundifolia, das Raue Hornbaltt
und die Grüne Cabomba. Die in der Emscher oft wild wuchernden Gewächse
werden hier in Einzelbildern in abstrahierenden Künstlichkeit in eigens
gebauten durchsichtigen Tanks porträtiert, wie Bestimmungstafeln aus einem
Werk über ökologische Aliens. Pflanzen als bisher kaum beachtete Migranten
eines Umbruchs der Lebenswelt.
Die ausgestellten Arbeiten erhielten zahlreiche Auszeichnungen. Unter anderem
4 von 5 Preise bei bridges | Fotoprojekt emscher:zukunft, dem epson-class-art-award,
output | foundation for future, design and education. Eine der Arbeiten wurde
im Rahmen des Fotofestivals Zingst gezeigt.
In der Projektion:
Ida Andrae: Emscherblut
Eine Installation aus musikalisch gehaltenen Theaterfotografien, eine Welle
von in Bewegungen aufgelösten Gestalten, Figuren und Posen, die das Drama
des menschlichen Lebens evozieren. Dem Betrachter zeigt sich ein dynamisches
Improvisationsspiel auf der Bühne. Ein einziges Wort
kann die Situation, die sich voller Energie und Leidenschaft ausgebildet
hat, umkippen lassen in eine völlig neue Szene. Eine eindrucksvolle Studie
des Improvisationstheaters mit den bereits genannten Namen, der hier aber als
Titel zur visuell-poetischen Metapher wird.
Jonas Holthaus: Heimat-Raum
Türken verließen in den 60er und 70er Jahren ihre Heimat, um in Deutschland
zu arbeiten. Hier geht es um die strenge Dokumentation der eigenen Räume,
in denen sich die türkischen Mitbürger nach der Arbeit gesellig zusammenfanden
in einer eigenen kleinen Welt mit Stühlen, Tischen und Bildern, die ein
Stück Nachhausekommen zwischen Familie und Heimweh verkörperten. Jonas
Holthaus hat die Interieurs von türkischen Kulturvereinen und Teestuben
in leichter Distanz und mit einem Minimalismus festgehalten, aus dem immer wieder
Details herausstechen, die über den reinen Alltag hinausweisen.
Moritz Kappen/ Sabrina Richmann: RB 43
Zwei Buchstaben, zwei Ziffern. Die Emschertalbahn, von Dortmund nach Dorsten.
Privatisiert, von Zeit zu Zeit von einer Schließung bedroht. Für
eine fast schon verlassene Linie - ein kleiner Verkehrsseitenarm mit verwahrlosten
Stationen. Ein hauchdünnes Bindeglied in Raum und Zeit für die Fahrgäste,
die Bewohner von Vor- und Zwischenorten, für welche die Bahn die einzige
Verbindungsmöglichkeit im Netzwerk Ruhrgebiet ist. Stationsgebäude,
winterliche Natur und Porträts von Wartenden zwischen Routine und Aufbruch
an einer Strecke wie im Niemandsland.
Raffi Derian: Emscherreise/Gichtgasromantik in Hörde
Bei der Stahlerzeugung in Hochöfen werden gewaltige Energien freigesetzt.
Darunter auch Gase, wie zum Beispiel das Gichtgas, das mit seinen Stickstoff-
und Kohlenmonoxid-Anteilen und seinem geringeren Heizwert und in Röhrensystemen
aus dem oberen Teil des Hochofens abgeführt, gereinigt oder in geringerem
Maße als Energiefaktor wiederverwendet wird. Raffi Derian hat dieses System
in dramatisierenden Industriefotos umgesetzt. 2. Arbeit: In einem rhythmisierten
Filmbilderband einer Wegbegehung führt er uns entlang der Arbeiten am blau
markierten Radweg entlang der Emscher.
Markus Hoffmann: Neuland
Frei- und Brachflächen, Baugruben, Gebiete mit Roh- und Neubauten, Einzel-
und Reihenhäuser, mal fertig, mal im Rohzustand, kollektiv oder einsam,
Erstbesiedelungen, auf oft industriell genutztem Raum. Spannung zwischen Umgebung
im Wandel und dieser Heim-Behauptung. Ironie? Neubaugebiete üben
auf mich eine zwiespältige visuelle und ästhetische Anziehung aus.
Sie sind Areale des konzentrierten Wandels, die rasch landschaftliche
sowie gesellschaftliche Veränderungen mit sich bringen. Das Unfertige
paart sich auf sonderbare Weise mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Provisorische
Inseln individueller Lebensentwürfe inmitten des vermeintlichen Chaos.
Texte von Peter V. Brinkemper
Galerie Lichtblick
Tina Schelhorn
Wolfgang Zurborn
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50733 Köln
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